Wir nutzen Design Thinking in der täglichen Arbeit, wenn wir eine originelle und simple Lösung für eine unklare Herausforderung finden wollen. Die charmante Methode erlaubt ihre Zerlegung und partielle Verwendung, je nach Anwendungsfall – deswegen wird Design Thinking auch mehr als Mindset, als ein starres Instrument angesehen.
So erklärt es das Gabler Wirtschaftslexikon: Unter Design Thinking wird eine spezielle Herangehensweise zur Bearbeitung komplexer Problemstellungen verstanden. Design Thinking ist dabei zugleich eine Methode, ein Set an Prinzipien, eine spezielle Denkhaltung und ein Prozess mit einer Vielzahl von unterstützenden Tools. Wesentliches Kennzeichen ist die fokussierte Anwenderorientierung.
Folgendes praktisches Beispiel führt durch den Gesamtprozess: Wir schauen auf die Design Challenge des Friseursalons HaarKlein, der sich vor Komplexitäten sieht und seine zukunftssichere Weiterentwicklung anstrebt. Mehr dazu kann im Folgenden nachgelesen werden.

Design Challenge

Die Design Challenge formulieren wir als eindeutige Frage. Ist dies nicht von Anfang an möglich, können wir mit der “5 Whys” Methode näher an die Wurzel des Problems gelangen:

  1. HaarKlein verzeichnet sinkende Schneideaufträge pro Woche. Warum?
  2. Weil Kunden keine Termine mehr vereinbaren. Warum?
  3. Weil Kunden in Krisenphasen und Inflation Friseurbesuche reduzieren. Warum?
  4. Weil sie ihre Aufmerksamkeit auf die allerwichtigsten Dinge lenken. Warum?

Wir sehen schon, es läuft darauf hinaus, dass HaarKlein an seiner Relevanz für Kundinnen und Kunden arbeiten muss. Also lautet die Design Challenge:

5. Wie kann HaarKlein seine Marktrelevanz und Zukunftssicherheit stärken?

 

Schritt 1: Verstehen

Ziel des Schritts Verstehen ist die Ausformulierung einer Hypothese über die Ist-Situation, bezogen auf die Zielgruppe. Dies erreichen wir mithilfe einer aussagekräftige Persona oder Customer Journey:

 

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In diesem Fall ist die Gestaltung einer Persona sinnvoll. Wir sehen das Profil von „Romy“, einer vielbeschäftigten Journalistin. Es wurden Aspekte einer Empathy Map miteinbezogen: Was sieht/ fühlt/ sagt Romy? Mit dieser Taktik versetzen wir uns in unsere Zielperson und ihre Bedürfnisse hinein. Uns wird ermöglicht, folgende Hypothese über Romy aufzustellen: Romy möchte in frischen, neuen Looks erstrahlen. Gleichzeitig möchte sie sich weniger darum kümmern müssen und Gewissheit über Frisuren-Wagnisse haben.

Schritt 2: Beobachten

Die Beobachtung ist nicht zu vernachlässigen, denn eine Hypothese, die nicht verifiziert wurde, bleibt eine bloße Annahme und liefert keine Gewissheit über den Status Quo. In diesem Schritt nehmen wir uns unsere Persona oder Customer Journey zur Hand und lassen uns die Inhalte von Repräsentant:innen bestätigen. Dies können wir in einem Gespräch/Interview oder einer Online-Umfrage tun.
In einem Friseursalon herrscht die luxuriöse Situation vor, dass Kund:innen allein aufgrund der Natur der Dienstleistung, gesprächsbereit über die Dauer der Leistungserbringung dasitzen. So könnten die Mitarbeiter:innen mit der Mission losgeschickt werden, mehr über das Stylingverhalten und etwaige Pains bei Bad Hair Days ihrer Kund:innen herauszufinden und diese gemeinsam zu sammeln. Die Methode „Bugs and Bees“ könnte an der Stelle anwendbar sein: Wir ordnen unserem gesammelten Wissen über Kund:innen Emotionen in Form von Emojis zu und halten so die Gemütslage fest.

Schritt3: Synthese

In der Synthese münden unsere bisherigen Erkenntnisse in einer validen Aussage über die Zielperson. Wir nehmen uns dafür einen Lückentext zur Hand, dessen Lücken wir mit unseren aus den Kundengesprächen gewonnenen Informationen füllen (hier die kursiven Textfelder):

 

Romy möchte selbstbewusst neue Frisuren tragen und sich damit wohl fühlen. Wir wollen ihr helfen, ihren gewünschten Look schnell und trotzdem entspannt zu erzielen, egal ob im Salon oder zu Hause. Wir waren überrascht darüber, wie stark der Faktor Spaß mit einem Friseurbesuch in Verbindung gebracht wird. Diesen Aspekt wollen wir intensivieren.

 

Schritt 4: Ideen sammeln

Mein persönlich aufregendster Part ist das Brainstorming. Mithilfe eines Online-Whiteboards bei einem digitalen Treffen oder mit Sticky Notes bei einem Live-Termin darf das Team wilde Ideen aufschreiben, die die identifizierte Problemstellung aus der Synthese lösen könnten. Bei diesem Schritt ist es wichtig nicht zu werten. Erstmal ist jede Idee gleich viel wert – hier gilt Quantität vor Qualität. Am liebsten integriere ich Inspirationsmaterial, wie zum Beispiel zufällig ausgewählte Bilder. In unserem Praxisbeispiel würde ich verschiedene Apps als Assoziationsgrundlage wählen. Wenn jemand Ebay Kleinanzeigen sieht, könnte die Idee eines Marktplatzes für teure Glätteisen und Lockenstäbe entstehen. Bilder eröffnen neue Themenfelder im Gehirn und führen zu neuen Gedankenkombinationen. Hierbei entstehen die kreativsten Ideen.
Mein Tipp für das Brainstorming ist, erstmal jede Person in Stillarbeit 5 min lang Gedanken sammeln und aufzuschreiben zu lassen, gerne mit einer Stoppuhr. Die Frage ad hoc von der ganzen Gruppe beantworten zu lassen führt zu einer Überforderung und es herrscht erstmal Stille im Plenum.

Schritt 5: Prototyp

Der technisch klingende Begriff Prototyp braucht überhaupt nicht technisch zu sein. Eine neu-konstruierte Dienstleistung nach auch in einem Comic, also einer Abfolge von Bildern/ Situationen dargestellt werden. Wenn es um eine neue App geht, dann können die Interfaces auch einfach auf Papier gezeichnet werden. Das wichtigste Kriterium für den Prototypen ist, dass das er die neue Lösung erlebbar macht.
In unserem Praxisbeispiel wird eine App für HaarKlein entwickelt, die den Kund:innen diverse neue Mehrwerte neben dem herkömmlichen Handwerk liefert: Anprobe von Frisuren via Smartphone-Kamera, Buchungskalender für Termine, Warenkorb und den Einkauf von Haarpflegeprodukten, persönliches Profil mit Historie, Buchungen für Gruppenevents, Bewertungen von Friseur:innen, DIY Online Tutorials, Marktplatz für Geräte, kulturelle Events im Salon etc.

 

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Schritt 6: Testing

Das Testen übernimmt die Zielgruppe selbst. Die erstellten Prototypen werden Kund:innen vorgelegt. Wenn es App-Prototypen auf Papier sind, kann die Person die Oberfläche bewerten und die aufgezeichneten Buttons „betätigen“. Die sich nun öffnende Oberfläche befindet sich auf einem neuen Blatt Papier und wird der Testperson vorgelegt. So können sich Tester durch die Logik der App klicken, ohne das Entwicklungsaufwand entstanden ist. Mithilfe der Methode „I like – I wish – What if“ können Testpersonen Aspekte sammeln, die sie mögen, die sie sich wünschen und weitere mögliche Szenarien und Ideen beitragen.

 

Fazit aus der Praxis zum Design Thinking

Dass der Prozess stringent von Schritt 1 bis 6 durchgezogen wird, ist eher eine Seltenheit. Auch das Auffinden und Involvieren von Akteuren aus der Zielgruppe ist nicht immer einfach. Ich möchte aber betonen, dass uns Gespräche und Workshops mit Kund:innen immer neue Erkenntnisse gebracht haben, die wir mit der rein internen Perspektive nicht gewonnen hätten. Methoden aus dem Design Thinking helfen nicht nur in der Produktentwicklung, sondern bei allen Projekten, die ein Problem auf einfallsreiche und nutzerzentrierte Weise lösen wollen. Demnach sind die Methoden häufig Bestandteil von IT-Projekten, ohne dass wir in dem Moment zwingend von Design Thinking sprechen. Ich komme zu dem Schluss, dass die Kenntnis über den Design Thinking Prozess und dessen Methoden sehr bereichernd im Tagesgeschäft ist und Projekte erfolgreicher macht, auch wenn nur partiell angewandt.