Schon einmal etwas von der Heldenreise oder „Hero Journey“ gehört? Erfahren Sie, wie Geschichten von Held:innen Veränderungsprozesse durch Story Telling begleiten, helfen können die Bedürfnisse von Mitarbeitenden in den Mittelpunkt zu stellen und lernen Sie, was begleitendes Change Management damit zu tun hat – alles zusammengefasst im nachfolgenden Blogbeitrag.

 

 

👩 Nora kratzt sich achselzuckend an der Schläfe und runzelt die Stirn.

„Wie soll ich hier bloß was finden und vorankommen?“ wispert sie leise vor sich hin, obwohl niemand bei ihr ist. Gedankenverloren scrollt sie sich durch die schier endlosen, nichtssagenden Suchergebnisse im mittlerweile aus der Zeit gefallenen Intranet. Der Schlafmangel der letzten Nächte macht sich langsam bemerkbar und ihre Augen werden schwer. Der Klingelton von MS Teams reißt sie plötzlich aus ihrer leichten Trance. „Tina ruft an“ blinkt es auf ihrem Bildschirm. Auch das noch… ihre Vorgesetzte.

„Hey Tina, was gibt’s?!“ fragt Nora und versucht ihren leichten Unmut über den unangekündigten Anruf mit leicht übertriebener Heiterkeit zu überspielen.

„Hey Nora! Ich wollte dich was fragen: Wir hatten gerade unsere Führungskräfte-Runde für das neue Projekt da… Du weißt schon: das mit dem neuen Intranet. Die haben jetzt vorgeschlagen, dass wir auf einzelne Personen zugehen und fragen, ob sie Botschafter für das Projekt werden wollen. Da habe ich direkt an dich gedacht! Du bist so engagiert und sehnst dich doch schon länger nach mehr Team-übergreifendem Kontakt zu Kolleg:innen. Ich glaube das ist eine tolle Möglichkeit sich dort besser zu vernetzen und auch gegenüber dem eigenen Team als Ansprechpartner für das neue Intranet zur Verfügung zu stehen. Ich glaube du wärst die perfekte Wahl. Was hältst du davon?“

„Oh, das klingt wirklich ganz interessant. Cool, dass du an mich gedacht hast! Aber ich habe aktuell so viel Arbeit auf dem Tisch…“ entgegnet Nora und fragt sich, wie sie das noch zusätzlich stemmen soll.

Tina beruhigt sie: „Wir schaffen dir die notwendigen Freiräume für diese Aufgabe. Ich fänd’s wirklich toll, wenn du das machen würdest.“

Nora erklärt sich schließlich bereit zur Botschafterin zu werden…

 

Na, wollen Sie jetzt auch wissen, wie die Geschichte weitergeht?

Nachvollziehbar! Bereits nach wenigen Zeilen, beginnt man mit der Hauptfigur in einer Geschichte „mitzufiebern“. Vielleicht haben Sie auch das Problem im eigenen Intranet nie was zu finden und können Noras Schmerz verstehen? Zugegeben: ich bin keine Krimibuchautorin, das geht mit Sicherheit noch viel spannender. Dennoch stellt man sich die Figur schnell bildlich vor und überlegt: Wie mag sie wohl so sein? Was bewegt sie? Wie geht die Geschichte weiter? Wo stößt sie noch auf Herausforderungen? Wie wird unsere Nora zur Heldin?

Storytelling ist in vielerlei Hinsicht spannend…

Dass uns Geschichten bewegen und wir wissen wollen, wie es weitergeht, ist vollkommen natürlich. Der Mensch ist ein emotionales Wesen. Emotional angehauchte Kommunikation reißt uns halt nun einmal mehr mit als ein schnödes Status Update zum Projekt. Aber wie können wir Storytelling noch nutzen? (Quelle: vgl. Mühlmann et al.: Von Helden und Schurken – Ein sozio-kognitives Modell zu Wirkungen von Narrationen in Organisationen, erschienen in Storytelling in Organisationen (2014).)

 

Übersicht der Anwendungsgebiete für Story Telling

 

Eine Vision entwickeln

Storytelling kann verwendet werden, um Stakeholdern mit unterschiedlichen Interessen und Überzeugungen in den Prozess der Entwicklung einer gemeinsamen Projektvision einzubeziehen.

Die Vision kommunizieren

Die Vision kann den Stakeholdern durch einfache, aber wirkungsvolle Stories vermittelt werden. Diese machen die Vision persönlicher und es wird deutlich, was die Vision genau beinhaltet.

Stakeholder Management

Kommunizieren Sie Fragen, Probleme und Lösungen durch die Verwendung von Stories. Dadurch können die Bedürfnisse der Stakeholder aufgedeckt und verstanden werden.

Konfliktmanagement

Stories können verwendet werden, um unterschiedliche Standpunkte darzustellen und gemeinsame Ziele zu entdecken. Darüber hinaus können durch Stories aus Problemen Win-Win Lösungen werden.

Entscheidungen fällen

Stories können das „Warum“ einer Entscheidung deutlich machen und macht diese daher persönlicher und relevanter für die Stakeholder.

Führung

Stories können Projektmanagern helfen, den Übergang von aufgabenbasierter Führung zu beziehungsbasierter Führung zu schaffen.

Macht/Einfluss

Storytelling kann die Macht und den Einfluss eines Projektmanagers stärken. Stories schaffen Verbindungen und Vorteile zu den Stakeholdern.

Moderation

Stories können den Moderationsprozess verbessern, indem sie diesen persönlicher und unterhaltsamer gestalten und dadurch länger anhaltende Beziehungen schaffen.

Planung

Stories können den Planungsprozess verbessern, indem sie ihn personalisieren, indem es eine Verschiebung von taktischer Planung hin zu langfristiger Planung gibt.

Umgang mit Ungewissheit

Stories können helfen, Unsicherheiten und Unklarheiten durch die Darstellung einer einfachen Wahrheit zu beseitigen.

Verhandeln

Stories vermitteln ein Verständnis für die Bedürfnisse aller Seiten der Verhandlung. Die Einigung auf eine „neue“ Story schafft dauerhafte Beziehungen.

Coaching

Die Verwendung persönlicher Stories kann das Coaching-Erlebnis verbessern. Außerdem kann das Setzen von Visionen und neuen Zielen durch Storytelling erreicht werden.

Quelle: Übersicht der Anwendungsgebiete für Story Telling (eigene Darstellung, vgl. Project Manager Institute. Web: https://www.pmi.org/learning/library/storytelling-project-managers-six-core-elements-6877)

 

Doch was hat das jetzt alles mit Change Management zu tun?

Tja. Nora als Heldin unserer Geschichte wird sich vermutlich im Laufe ihrer Story folgendem „Verlauf“ stellen müssen: Einleitung (wir stellen die Figuren und die Situation vor), Konfrontation (Nora trifft auf eine Herausforderung), Lösung (Nora wird letztlich zur Heldin). Diese Hero Journey wurde bereits 1949 von Joseph Campbell in seinem Buch „The Hero with a Thousand Faces“ beschrieben. Das Spannende daran: Der Verlauf einer gut aufgesetzten Story ist relativ ähnlich zur Kurve im Change Management, wie Virginia Satir sie beschreibt. Auch hier gibt es eine Ausgangssituation, auf die eine Veränderung trifft. Auch hier kommen Menschen bei Konfrontation mit dem „Neuen“ in Veränderungsprozessen an eine Herausforderung, die sie vor Probleme stellt. Auch hier gibt es ggf. eine Lösung (möglicherweise trifft Nora ja noch auf jemanden, der ihr bei der Beseitigung kommender Herausforderungen unterstützt und sie so mit ihrem Weggefährten als Botschafterin für das neue Intranet viel Anerkennung erfährt und zur Heldin wird).

Bild Veraenderungsmodell
Quelle: Beispielhafte Heldenreise als klassisches Modell für Veränderungen nach Virginia Satir (eigene Darstellung, vgl. Satir et al., The Satir model: family therapy and beyond (1991)).

 

Wir lernen somit, dass es Unterstützungsbedarf für unsere Nora gibt, damit sie zur Held:in werden kann. Ähnlich geht es uns vielleicht als Team in unseren Projekten: es bedarf begleitenden Aktivitäten und Change Management Maßnahmen, damit Menschen Veränderungen leichter annehmen können.

Wie können wir uns Story Telling und Held:innengeschichten noch zu Nutze machen?

  • Wir wissen nun, wie die Kurve in Veränderungsprozessen aussieht und folglich verstehen, dass der Mensch nach einer Herausforderung Weggefährten bzw. Unterstützung benötigt und nur so in einen neuen Zustand – möglicherweise als Held:in – kommt.
  • Wir können uns durch diese Geschichte viel einfacher mit Nora identifizieren und in ihre Haut versetzen. So fällt es auch uns als Projektteam leichter, die individuellen Herausforderungen nachvollziehen zu können.
  • Wir können Story Telling innerhalb von Projekten nutzen, um auch trockene Infos „nett zu verpacken“.
  • Wenn die Geschichte drum herum wirklich richtig gut ist, den Nagel der Herausforderungen auf den Kopf trifft und so die Menschen zu begeistern vermag, können wir echtes Engagement erzeugen und Identifikation mit dem Projekt schaffen. Dies steigert nachweislich den Projekterfolg. (Quelle: vgl. Project Management Institute: A Guide to the Project Management Body of Knowledge (PMBOK® Guide) (Erstauflage 1996).)

Klingt zu schön, um wahr zu sein? Ja, mag sein. Nicht jede:r kann gute Geschichten schreiben. Nicht jede Geschichte kommt bei der Zielgruppe an. Nicht jedes Projekt ist dafür geeignet.

Wenn wir uns in unsere Mitarbeitenden hineinversetzen und mal zuhören, was wirklich ihre Herausforderungen sind und wo der Hase im Pfeffer begraben liegt, so können Geschichten gesponnen werden, die diese Herausforderungen aufgreifen und reale Lösungsansätze schaffen. Die Menschen beginnen sich mit diesen Personen zu identifizieren und diesen Weg für sich als Lösungsmöglichkeit wirklich in Betracht zu ziehen. Außerdem können wir teamintern aus eigener Erfahrung sagen, dass dedizierte Workshops, in denen man ebensolche Geschichten erzählt und über Personas spricht, wirklich dabei helfen, die Gefühle und Gedankenwelt einzelner Personengruppen besser verstehen zu können. Ein gutes Maß an Empathie und Talent im Schreiben von Geschichten ist hierbei natürlich von Vorteil.

 

Wie geht’s jetzt eigentlich mit Nora weiter?

„Wow“ sagt Nora leise zu sich selbst, nachdem sie die neuesten News im neuen Intranet entdeckt hat. Dort steht mit glühenden Buchstaben – für alle im Unternehmen lesbar! – geschrieben:

„Botschafter des Monats Mai 2023: Nora Knopf“

Sie liest den Beitrag jetzt zum vierten Mal. 234 Likes! Das hätte sie im Leben nicht gedacht, als Tina sie noch vor wenigen Monaten ansprach, ob sie überhaupt Botschafterin sein möchte. Ein warmes Gefühl überkommt sie, als sie all die lieben Kommentare ihrer Kolleg:innen liest. „Schön, dass sich all die Arbeit gelohnt hat. Jetzt auf zum Feierabend Getränk mit den anderen Botschaftern! Darauf können wir anstoßen.“, denkt sie für sich und klappt zufrieden den Laptop zu.

 

… was dazwischen geschah, damit Nora hier als Heldin ankommen konnte, bleibt vorerst unser Geheimnis 😊