Kompetenzen entwickeln, Netzwerke aufbauen und Wissen teilen – das und vieles mehr steckt hinter Working out Loud. Immer mehr Unternehmen, darunter Bosch, Siemens oder BMW, entdecken die Methode für sich und auf den sozialen Netzwerken bilden sich rege Communities. Kein Wunder: Working out Loud gilt als Wegbereiter einer neuen Arbeits- und Lernkultur. Für Heike Rosenberg ist es mehr als nur eine Methode – es ist eine Lebenseinstellung. Im Interview spricht sie über ihre praktischen Erfahrungen, gibt wertvolle Tipps zum Einstieg und zeigt, wie Unternehmen die neue, zukunftsweisende Art der Zusammenarbeit gezielt nutzen können.

Beim BPW Themenabend am 07. November halten Sie einen interaktiven Vortrag zum Thema „Working out Loud“. Was genau ist Working out Loud und wie funktioniert es?

 

Im Grunde ist Working out Loud (WOL) eine neue Methode, um Ziele zu erreichen, Netzwerke auf- und auszubauen und sich selbst sowie neue Themen zu entdecken. Entwickelt wurde die Methode von John Stepper. Aber WOL ist noch viel mehr als das. Es ist eine Lebenseinstellung oder agiles Mindset in Bezug auf die Art der Zusammenarbeit. Denn WOL steht für mich unter dem Motto #sharingiscaring. Das heißt, ich teile frühzeitig meinem Netzwerk mit, woran ich arbeite, Stichwort Sichtbarkeit, und wie ich meine Ziele verfolgen möchte. Auf Basis derer Feedbacks kann ich mich weiterentwickeln und verbessern. Ebenso hat das Netzwerk durch den Austausch auch die Chance, von mir zu lernen.

WOL ist ein selbst organisiertes Arbeiten. Praktisch umgesetzt wird es in einer Gruppe von 4-5 Personen, der sogenannte Circle. Der Circle trifft sich für insgesamt 12 Wochen jeweils einmal in der Woche. In dieser Zeit bearbeitet jede*r Teilnehmer*in mithilfe der anderen Circle-Teilnehmer*innen ihr/sein Ziel. Die Treffen können persönlich oder digital (z. B. Telefon-/Videokonferenz) erfolgen. Jede Woche sind bestimmte Aufgaben zu erfüllen, die in einem sogenannten Circle-Guide stehen. Das ist eine Art „Anleitung“, die dich unterstützt, dein Ziel strukturiert anzugehen.

 

Die eigene Arbeit nach außen zu tragen und sich mit den Themen anderer zu beschäftigen bedeutet zusätzlichen Zeitaufwand und Mühe – worin besteht der konkrete Mehrwert?

 

WOL ist eine Lernmethode, bei der ich so viel mehr lerne, als nur zielgerichtet zu arbeiten. Ich lerne mich selbst und die anderen Circle-Teilnehmer*innen besser kennen und schätzen. Dabei entwickle ich Kompetenzen (weiter), reflektiere meine Person, überwinde meine eigenen starren Strukturen und öffne mich für neue Ideen und Gedanken. Ich erhalte in kurzer Zeit unglaublich viele Informationen, Wissen und Einblicke, ich probiere neue Dinge aus. Gegebenenfalls scheitere ich auch auf den Weg und lerne damit umzugehen, den Lerneffekt mitzunehmen und meinen Weg neu zu überdenken.

Ich vernetze mich mit neuen Menschen und intensivere den Austausch mit bereits bestehenden Kontakten. Ich baue meine Beziehungen aus, stets unter der Frage: Was brauche ich UND was kann ich geben? So lerne ich, mich und meine Arbeit sichtbar zu machen und andere Menschen davon profitieren zu lassen.

WOL ist für mich daher eine Lebenseinstellung, die lebensverändert sein kann!

 

Sie haben bereits an einem Working out Loud Circle teilgenommen, wie war Ihre persönliche Erfahrung und worin bestand für Sie der größte Mehrwert?

 

Ich habe meinen WOL-Circle als sehr bereichernd empfunden und das in vielerlei Hinsicht. Meine zwei WOLlies Anja und Ulf waren überaus großzügig in ihrer Unterstützung meines Zieles: Mit Wissen und Informationen, Erfahrungen, Herstellung von Kontakten, kritischem Hinterfragen, Feedback und schlichtem „Rücken stärken“ durch Zuhören, an mich glauben, meine Stärken herausstellen und aktiver Mitarbeit an meinem Ziel. Es ist ein bedingungsloses Miteinander und ein großes Vertrauen entstanden und dafür bin ich überaus dankbar.

Ich bin auch meinem eigentlichen Ziel nähergekommen und kann dies nun für mich weiterverfolgen. Allein schon die Tatsache, dass man sein Ziel erreicht oder näherkommt, ist bereits ein großer Erfolg. Aber der wahre Mehrwert liegt für mich in der vertrauensvollen Zusammenarbeit, im „so sein, wie man ist und das ist gut“, in der Überwindung seines eigenen Silodenkens, das Öffnen für neue Gedanken und Ideen und im Ausprobieren neuer Wege und in der Weiterentwicklung von Kompetenzen. Auch nach diesen 12 Wochen sind die Circle-Teilnehmer*innen ja nicht aus der Welt, sie bleiben und das tut unglaublich gut.

 

Unternehmen wie Bosch, IBM oder Siemens nutzen bereits Working out Loud. Ist die Methode besonders etwas für Konzerne oder können auch kleine Unternehmen davon profitieren?

 

WOL ist für alle: Für große Konzerne sowie KMUs oder Startups – für private Unternehmen, Institutionen und Organisationen sowie öffentlicher Dienst.

Der Vorteil von WOL ist das abteilungs-, hierarchie- und wer möchte auch unternehmensübergreifende Arbeiten. Hier gibt es keinen Chef. Alle Teilnehmer*innen sind gleich und auch gleich wert – sie begegnen sich auf Augenhöhe und teilen ihr Wissen uneingeschränkt. Dadurch wird das Silodenken überwunden und der Kopf wieder frei für neue Ideen und Gedanken. Es darf ausprobiert und gescheitert, neu gedacht und Erfolge erzielt werden. Die Circle-Teilnehmer*innen bauen ihr Netzwerk aus, es entsteht eine neue Art des Networkings innerhalb oder außerhalb der sozialen Medien.

Und natürlich werden Ziele erreicht, die oft beruflicher Natur sind. Davon profitieren nicht nur die einzelne Person, sondern auch das Unternehmen. Es entsteht ein neues Denken über die Sichtbarkeit der einzelnen Person und deren Themen, über die Großzügigkeit von Wissensteilung und der Überwindung von Hierarchien und Strukturen.

 

Wissensmanagement, funktionsübergreifende Kompetenzen und Kritikfähigkeit sollen einige der gefragtesten beruflichen Fähigkeiten der Deutschen sein (LinkedIn Studie 2017). Wie kann Ihrer Meinung nach Working out Loud hier unterstützen und besonders die Arbeitswelt 4.0 vorantreiben?

 

Im Zeitalter der Digitalisierung und Arbeitswelt 4.0 sind insbesondere übergreifende Kompetenzen gefragt, wie z. B. Lernagilität, Empathie und Kollaborationsfähigkeit. Denn es sind diese Kompetenzen, die uns befähigen, auf die schnellen Veränderungen einzugehen. Denn nur wer schnell auf die Veränderungen des Marktes und der Arbeitswelt eingehen und ggf. schon bereits im Vorfeld agieren kann, ist als Unternehmen (egal welcher Größe) überlebensfähig.

WOL ist eine Lernmethode, die u. a. diese Kompetenzen der Teilnehmer*innen weiterentwickelt. Hier lerne ich, Wissen zu teilen – zu geben und zu nehmen, ich lerne, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und wertzuschätzen, mein Netzwerk auf- und auszubauen und neue Dinge auszuprobieren; auch mal zu scheitern und gemeinsam daraus zu lernen.

Ich entwickle meine Kompetenzen spielerisch und für mich ganz wichtig: Ohne das Gesicht zu verlieren, mit Lob und Wertschätzung sowie in Selbst- und Fremdreflektion.

 

Was würden Sie Unternehmen raten, die selbst mit Working out Loud starten möchten? Und wie können Mitarbeiter vorgehen, um WOL ihrem Arbeitgeber näherzubringen?

 

Es ist großartig, wenn Unternehmen ihren Mitarbeiter*innen, Raum und Zeit für ihre Entwicklung in Form von WOL geben!

So benötigen die WOL-Teilnehmer*innen bspw. Räumlichkeiten oder digitale Vernetzungsmöglichkeiten (Telefon- oder Videokonferenzen, ESN (soziales Intranet)). Auch ist es wichtig, dass Führungskräfte und Unternehmen die zeitliche Komponente der Circle-Teilnehmer*innen mittragen und diese in dieser Zeit von ihrer Arbeitsleistung „freistellen“.

Zunächst ist es aber wichtig, die Mitarbeiter*innen (mit und ohne Führungsverantwortung) zu informieren, was WOL überhaupt ist und welchen Mehrwert es für die Mitarbeiter*innen und Unternehmen bringt. Es sollte herausgestellt werden, dass WOL auf freiwilliger und selbstständiger Basis erfolgt. Ich finde es sinnvoll, wenn Mitarbeiter*innen, die bereits einen WOL-Circle durchlaufen haben, von ihren Erfahrungen berichten, um das Ganze authentisch zu machen.

Oft erfolgt der Start mit einer Auftaktveranstaltung, wo auch erste Übungen durchgeführt werden können, wie z. B. Interessen herauszuarbeiten oder eigene Ziele überlegen.

Gemeinsam kann auch ein Unternehmens-Hashtag gefunden werden. Schön finde ich es, wenn es von Abteilung, wie Marketing und Personal, begleitet wird, z. B. durch Likes oder Retweets der ersten Twitter-Tweets, durch Erfahrungsberichte in der Mitarbeiterzeitschrift und Intranet. Hier sollten natürlich auch alle anderen Informationen, wie die Circle Guides zur Verfügung stehen.

 

Vielen Dank Frau Rosenberg für das interessante Interview!

 

Über Heike Rosenberg

Heike Rosenberg gründete Anfang 2019 ihre Beratung Heike Rosenberg Consulting, ist ausgebildete Trainerin, systemischer Management-Coach, Pflege-Lotsin und DIE-zertifizierte ProfilPASS-Beraterin. Sie verfügt über langjährige Erfahrungen im Bereich Human Ressources und Projektmanagement. Ihr besonderes Augenmerk liegt bei der Er- und Anerkennung informeller Kompetenzen aus privaten Lernorten und der Übertragung auf den Arbeitsplatz – insbesondere in der Arbeitswelt 4.0.

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